Am Mittwoch, dem 5. März 2025, verstarb in Kanada unsere Kollegin Gertrude Mensch, eine deutsche Physiotherapeutin, die sich in internationaler Arbeit mit Amputierten einen Namen machte.
Gertrude Mensch wurde 1926 in Leipzig, Deutschland, geboren. Nach dem Krieg war es schwierig, in Leipzig Arbeit zu finden, und so entschieden sie und ihr Ehemann Gunther, 1955 nach Hamilton in Ontario, Kanada, zu ziehen, um dort ein Familienleben und eine Karriere aufzubauen. Gertrude war in Deutschland ausgebildet und ihr Englisch war begrenzt, aber sie lernte eifrig und schrieb innerhalb der ersten Monate nach ihrer Ankunft erfolgreich ihre Physiotherapie-Prüfungen in Englisch nach. Aufgrund ihrer Erfahrung in der Arbeit mit beinamputierten Patienten in Deutschland war sie natürlich auch hier, im Florence Henderson General Hospital in Hamilton, hervorragend in der Betreuung dieser Patienten.
Ihre Krankenhausverwaltung förderte sie und gab ihr frühzeitig die Möglichkeit, die Post-Graduate Medical School der New York University zu besuchen, um selbst einen Kurs für das Amputations-Rehabilitations-Team zu absolvieren (außerdem wollte sie unbedingt reisen und Broadway-Shows sehen). In ihrer lebhaften Art war sie immer auf dem Sprung und zugleich immer zugegen, wo sie gebraucht wurde; dies brachte ihr den Spitznamen „Hurricane Mensch“ ein. Gertrude, der „Wirbelwind“, war eine Kraft, mit der man rechnen musste!
In perfekter Selbstorganisation wurde Gertrude zu einer Trendsetterin, die in den 50er Jahren mit den Traditionen der Frauen brach und vollzeitlich außerhalb des Hauses arbeitete. Im Jahr 1960 wurde sie Leiterin der Abteilung für Physiotherapie. Ihr ganzes Leben lang schaffte sie es erfolgreich, ihre Familie, ihr häuslichen Notwendigkeiten und ihren Beruf nahtlos zu koordi- nieren.
Frau Mensch hat aber nicht nur praktisch als Physiotherapeutin gearbeitet; sie war auch umfangreich in der Lehre und Wissenschaft tätig. Sie veröffentlichte zum Beispiel in zwei Büchern, einmal in Mensch/Ellis: „Physical Therapy Management of lower Extremity Amputations“ (engl.) und auch in deutscher Sprache: Mensch/Kaphingst: „Physiotherapie und Prothetik nach Amputation der unteren Extremität“. Diesem letzteren Buch kommt, wegen der Verflechtung von Physiotherapie (Gertrude Mensch) und Orthopädie-Technik (Wieland Kaphingst), eine besondere Bedeutung zu. Es ist noch heute für alle, die mit Amputationen zu tun haben, eine wertvolle Hilfe. Gertrude Mensch war sehr stolz auf die Veröffentlichung und bezeichnete sie als die wichtigste Leistung in ihrem Leben.
Ihre Bücher sind zwar nicht mehr im Druck, aber ihre Erfahrung lebt im Fach weiter.
Ihre wissenschaftliche Leistung drückt sich auch in 17 internationalen Publikationen (bis 1998 bekannt) und 21 internationalen Vorträgen auf Konferenzen in Australien, Polen und Deutschland (bis 1999 bekannt) aus.
1979 wurde sie Kanadas Vertreterin und stolzes erstes weibliches Vorstandsmitglied der ISPO (International Society for Prosthetics and Orthotics). 1983 erhielt sie die ISPO-Fellowship und wurde 2004 emeritiert. Sie zeichnete sich im Bereich „Hilfsmittel und Rehabilitation“ aus und arbeitete eng mit dem Team des Chedoke-Krankenhauses zusammen. Auf ihrem Weg lernte sie großartige Gleichgesinnte kennen und baute einen starken, lebenslangen internationalen Freundeskreis auf, mit dem sie zum Teil bis an ihr Lebensende in Kontakt blieb.
In Deutschland pflegte sie auch einen umfangreichen Erfahrungsaustausch und familiäre Kontakte u. a. mit Prof. Dr. med. René Baumgartner, Dipl.-Ing. Wieland Kaphingst (später USA) und PD Dr. med. habil. Lutz Brückner. Die deutsche Orthopädie-Technik verdankt Gertrude Mensch zahlreiche wertvolle Fortbildungskurse, die anlässlich der Orthopädie-Weltkongresse in ihrer Geburtsstadt Leipzig sowie an der Bundesfachschule für Orthopädie ‑Technik und an renommierten deutschen Kliniken gemeinsam abgehalten wurden.
Für uns war Gertrude Mensch nicht nur eine führende Physiotherapeutin in der Behandlung Amputierter, sondern eine verehrte Kollegin und eine gute Freundin des Faches. Wir, wie auch viele ihrer dankbarer Patientinnen und Patienten, werden sie stets in ehrenvoller Erinnerung behalten.
Gertrude hat sich keine Beerdigung oder Trauerfeier gewünscht, aber zur Ehrung ihres Andenkens ist eine Spende an die Hamilton Health Sciences Volunteer Association oder an den Hamilton Mountain Rotary Club gern gesehen.
Stellvertretend für alle unter uns, die sie kannten,
Dipl.-Ing. Wieland Kaphingst und PD Dr. med. habil. Lutz Brückner
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