Nach­ruf auf Erna Sen­ta Ger­tru­de Mensch (1926 – 2025)

Nachfolgend haben Dipl.-Ing. Wieland Kaphingst und PD Dr. med. habil. Lutz Brückner einen Nachruf auf Erna Senta Gertrude Mensch verfasst. Die gebürtige Leipzigerin zog es nach dem Zweiten Weltkrieg nach Kanada, wo sie im Kreise ihrer Familie Anfang 2025 verstarb. Gertrude Mensch – so war sie im Fach bekannt – hatte vor allem über die ISPO Kontakt zu Vertretern aus Medizin, Technik und Physiotherapie und veröffentlichte internationale wie deutschsprachige Fachpublikationen. Auch in der demnächst erscheinenden überarbeiteten Neuauflage des „Kompendium Qualitätsstandard im Bereich Prothetik der unteren Extremität“ der Deutschen Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung (DGIHV) wird noch einmal auf ihre Fachexpertise zurückgegriffen.

Am Mitt­woch, dem 5. März 2025, ver­starb in Kana­da unse­re Kol­le­gin Ger­tru­de Mensch, eine deut­sche Phy­sio­the­ra­peu­tin, die sich in inter­na­tio­na­ler Arbeit mit Ampu­tier­ten einen Namen machte.

Ger­tru­de Mensch wur­de 1926 in Leip­zig, Deutsch­land, gebo­ren.  Nach dem Krieg war es schwie­rig, in Leip­zig Arbeit zu fin­den, und so ent­schie­den sie und ihr Ehe­mann Gun­ther, 1955 nach Hamil­ton in Onta­rio, Kana­da, zu zie­hen, um dort ein Fami­li­en­le­ben und eine Kar­rie­re auf­zu­bau­en. Ger­tru­de war in Deutsch­land aus­ge­bil­det und ihr Eng­lisch war begrenzt, aber sie lern­te eif­rig und schrieb inner­halb der ers­ten Mona­te nach ihrer Ankunft erfolg­reich ihre Phy­sio­the­ra­pie-Prü­fun­gen in Eng­lisch nach. Auf­grund ihrer Erfah­rung in der Arbeit mit bein­am­pu­tier­ten Pati­en­ten in Deutsch­land war sie natür­lich auch hier, im Flo­rence Hen­der­son Gene­ral Hos­pi­tal in Hamil­ton, her­vor­ra­gend in der Betreu­ung die­ser Patienten.

Ihre Kran­ken­haus­ver­wal­tung för­der­te sie und gab ihr früh­zei­tig die Mög­lich­keit, die Post-Gra­dua­te Medi­cal School der New York Uni­ver­si­ty zu besu­chen, um selbst einen Kurs für das Ampu­ta­ti­ons-Reha­bi­li­ta­ti­ons-Team zu absol­vie­ren (außer­dem woll­te sie unbe­dingt rei­sen und Broad­way-Shows sehen). In ihrer leb­haf­ten Art war sie immer auf dem Sprung und zugleich immer zuge­gen, wo sie gebraucht wur­de; dies brach­te ihr den Spitz­na­men „Hur­ri­ca­ne Mensch“ ein. Ger­tru­de, der „Wir­bel­wind“, war eine Kraft, mit der man rech­nen musste!

In per­fek­ter Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on wur­de Ger­tru­de zu einer Trend­set­te­rin, die in den 50er Jah­ren mit den Tra­di­tio­nen der Frau­en brach und voll­zeit­lich außer­halb des Hau­ses arbei­te­te. Im Jahr 1960 wur­de sie Lei­te­rin der Abtei­lung für Phy­sio­the­ra­pie. Ihr gan­zes Leben lang schaff­te sie es erfolg­reich, ihre Fami­lie, ihr häus­li­chen Not­wen­dig­kei­ten und ihren Beruf naht­los zu koor­di- nieren.

Frau Mensch hat aber nicht nur prak­tisch als Phy­sio­the­ra­peu­tin gear­bei­tet; sie war auch umfang­reich in der Leh­re und Wis­sen­schaft tätig. Sie ver­öf­fent­lich­te zum Bei­spiel in zwei Büchern, ein­mal in Mensch/Ellis: „Phy­si­cal The­ra­py Manage­ment of lower Extre­mi­ty Ampu­ta­ti­ons“ (engl.) und auch in deut­scher Spra­che: Mensch/Kaphingst: „Phy­sio­the­ra­pie und Pro­the­tik nach Ampu­ta­ti­on der unte­ren Extre­mi­tät“. Die­sem letz­te­ren Buch kommt, wegen der Ver­flech­tung von Phy­sio­the­ra­pie (Ger­tru­de Mensch) und Ortho­pä­die-Tech­nik (Wie­land Kaphingst), eine beson­de­re Bedeu­tung zu. Es ist noch heu­te für alle, die mit Ampu­ta­tio­nen zu tun haben, eine wert­vol­le Hil­fe. Ger­tru­de Mensch war sehr stolz auf die Ver­öf­fent­li­chung und bezeich­ne­te sie als die wich­tigs­te Leis­tung in ihrem Leben.

Ihre Bücher sind zwar nicht mehr im Druck, aber ihre Erfah­rung lebt im Fach weiter.

Ihre wis­sen­schaft­li­che Leis­tung drückt sich auch in 17 inter­na­tio­na­len Publi­ka­tio­nen (bis 1998 bekannt) und 21 inter­na­tio­na­len Vor­trä­gen auf Kon­fe­ren­zen in Aus­tra­li­en, Polen und Deutsch­land (bis 1999 bekannt) aus.

1979 wur­de sie Kana­das Ver­tre­te­rin und stol­zes ers­tes weib­li­ches Vor­stands­mit­glied der ISPO (Inter­na­tio­nal Socie­ty for Pro­sthe­tics and Ortho­tics). 1983 erhielt sie die ISPO-Fel­low­ship und wur­de 2004 eme­ri­tiert. Sie zeich­ne­te sich im Bereich „Hilfs­mit­tel und Reha­bi­li­ta­ti­on“ aus und arbei­te­te eng mit dem Team des Che­do­ke-Kran­ken­hau­ses zusam­men. Auf ihrem Weg lern­te sie groß­ar­ti­ge Gleich­ge­sinn­te ken­nen und bau­te einen star­ken, lebens­lan­gen inter­na­tio­na­len Freun­des­kreis auf, mit dem sie zum Teil bis an ihr Lebens­en­de in Kon­takt blieb.

In Deutsch­land pfleg­te sie auch einen umfang­rei­chen Erfah­rungs­aus­tausch und fami­liä­re Kon­tak­te u. a. mit Prof. Dr. med. René Baum­gart­ner, Dipl.-Ing. Wie­land Kaphingst (spä­ter USA) und PD Dr. med. habil. Lutz Brück­ner. Die deut­sche Ortho­pä­die-Tech­nik ver­dankt Ger­tru­de Mensch zahl­rei­che wert­vol­le Fort­bil­dungs­kur­se, die anläss­lich der Ortho­pä­die-Welt­kon­gres­se in ihrer Geburts­stadt Leip­zig sowie an der Bun­des­fach­schu­le für Ortho­pä­die ‑Tech­nik und an renom­mier­ten deut­schen Kli­ni­ken gemein­sam abge­hal­ten wurden.

Für uns war Ger­tru­de Mensch nicht nur eine füh­ren­de Phy­sio­the­ra­peu­tin in der Behand­lung Ampu­tier­ter, son­dern eine ver­ehr­te Kol­le­gin und eine gute Freun­din des Faches. Wir, wie auch vie­le ihrer dank­ba­rer Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, wer­den sie stets in ehren­vol­ler Erin­ne­rung behalten.

Ger­tru­de hat sich kei­ne Beer­di­gung oder Trau­er­fei­er gewünscht, aber zur Ehrung ihres Andenkens ist eine Spen­de an die Hamil­ton Health Sci­en­ces Vol­un­teer Asso­cia­ti­on oder an den Hamil­ton Moun­tain Rota­ry Club gern gesehen.

Stell­ver­tre­tend für alle unter uns, die sie kannten,

Dipl.-Ing. Wie­land Kaphingst und PD Dr. med. habil. Lutz Brückner 

 

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