„In der Europäischen Union besteht eine erhebliche globale Krankheitslast im Zusammenhang mit dem Verlust und der Erhaltung von Gliedmaßen“, schreibt Prof. Kaufman vom W. Hall Wendel Jr. Musculoskeletal Center an der Mayo Clinic im Vorfeld seiner Keynote „Evidenz für Amputationen und Gliedmaßenerhalt – die Einrichtung eines Registers in den USA“, die er am 10. Mai 2022 auf der OTWorld halten wird. Trotz der erheblichen Belastung sei wenig über die Wirksamkeit von Praktiken und Technologien bekannt, die nach dem Verlust von Gliedmaßen eingesetzt werden. „Eine ähnliche medizinische Situation besteht in den Vereinigten Staaten. Um die wissenschaftlichen Entwicklungen voranzutreiben, wurde das Limb Loss and Preservation Registry (LLPR) geschaffen“, so der Experte, der auf die Forschung im Bereich der muskuloskelettalen Rehabilitation spezialisiert ist und das Projekt zur Entwicklung des nationalen US-amerikanischen LLPR-Registers für Gliedmaßenverlust und ‑erhaltung leitet.
Ergebnisse von mehr als 500 Amputationen pro Tag
Das LLPR sei ein umfassendes nationales „Multi-Stakeholder-Register“, an dem mehrere Interessengruppen beteiligt sind. Es erfasse Informationen zu den Ursachen, Behandlungsabläufen sowie Ergebnissen von mehr als 500 pro Tag durchgeführten Amputationen in den USA, wie Kaufman ausführt. Die Daten werden somit gebündelt gespeichert. Das LLPR sei entwickelt worden, um Patientendaten bzw. die Ergebnisdaten von Behandlungen zu standardisieren, zu messen und zu melden. Damit sollen evidenzbasierte Entscheidungsfindungen unterstützt sowie die Gesundheitsversorgung bzw. die Präventions‑, Behandlungs- und Rehabilitationsbemühungen für diese Patient:innen verbessert werden. Das Register soll helfen, bewährte Verfahren zu etablieren und zu verbreiten. Ergänzend zu seiner Keynote hält Prof. Kaufman im Kongress den Vortrag „Limb Loss and Preservation Registry“ (11. Mai).
Registerforschung als Basis evidenzbasierter Versorgung
Register sind in der Medizin ein großes Thema, um weitere evidenzbasierte Erkenntnisse auf Basis von Behandlungsdaten für die Versorgung von Menschen zu gewinnen. Dies schlug sich in der Vergangenheit auch in verschiedenen Kongressvorträgen auf der OTWorld nieder. Bislang jedoch gibt es in Deutschland kein bundesweites Exoprothesenregister – obwohl dies von zahlreichen Verbänden wie dem Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) und der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Hilfsmittelversorgung (DGIHV) seit längerem gefordert wird, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Europäischen Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation, MDR). Umso mehr lohnt sich ein Blick über den Teich in die USA.
Erstes „Data Warehouse“ für Versorgungsdaten in den USA
Hinter dem Limb Loss and Preservation Registry (LLPR) verbirgt sich ein nationales, kollaboratives Data Warehouse, eine zentrale Datenbank, die für die Analyse der aufgenommenen Daten optimiert ist. Die Mayo Clinic hat nach eigenen Angaben kürzlich vom Federal Risk and Authorization Management Program (FedRAMP) die Genehmigung erhalten, mit dem Betrieb des Registers zu beginnen. Bei FedRAMP handelt es sich um ein US-Bundesprogramm zur Standardisierung der Sicherheitsüberprüfung, Autorisierung und Überwachung von Cloud-Produkten und ‑Dienstleistungen.
Das Register sei das erste seiner Art in den USA, teilte die Mayo Clinic mit. Es soll die Versorgungsdaten von Patient:innen mit Gliedmaßenverlust zusammenführen und unter anderem geografische und demografische Daten bereitstellen. Zudem erlaube die Datenbank beispielsweise Analysen nach Alter, Geschlecht, Art des Gliedmaßenverlusts, Operationen und genutzten Prothesen. Ziel des LLPR sei, die Behandlungsfortschritte zu identifizieren, die zu Unterschieden in der Versorgung von Menschen mit Gliedmaßenverlust und Gliedmaßendifferenz führen. Somit werde das Projekt erhebliche Datenlücken im Zusammenhang mit dem Verlust von Gliedmaßen in den USA schließen, so die Klinik. Diese Datenlücken seien beträchtlich: In einigen Fällen seien die verfügbaren Statistiken über zwei Jahrzehnte alt und Längsschnittdaten seien noch nie erhoben worden.
Die beste Behandlungsoption finden
Mayo verantwortet laut eigener Angabe die Entwicklung sowie den Betrieb des Registers und untersteht den National Institutes of Health und dem Verteidigungsministerium der USA. Man habe ein Netzwerk aus Mitgliedern des Gesundheitswesens, Forschenden, Aufsichtsbehörden, Industrievertreter:innen und Patientengruppen aufgebaut. Bei der Zentralisierung der Daten werde die Mayo Clinic durch die Nonprofit-Organisation Thought Leadership & Innovation Foundation unterstützt. In Zukunft soll das Register den Herstellern mit Daten und Feedback dabei helfen, die nächste Generation von Prothesen zu verbessern. Versicherern soll es mögliche Alternativen zur Amputation aufzeigen und belegen, wie Hilfsmittel das Leben von Patient:innen beeinflussen. Die Daten könnten Krankenhäusern und Therapeut:innen Informationen über die langfristige Verwendung von Prothesen liefern und zu mehr Verständnis für Probleme führen, die möglicherweise im Anschluss an die Rehabilitation auftreten. Ärzt:innen sollen durch das Register dabei unterstützt werden, die beste Behandlungsoption zu finden.
Cathrin Günzel
Kenton Kaufman, PhD, PE, ist W. Hall Wendel Jr. Musculoskeletal Research Professor sowie Professor für biomedizinische Technik und für Orthopädie. Er ist Direktor des Labors für Bewegungsanalyse und Berater in den Abteilungen für orthopädische Chirurgie, Physiologie und biomedizinische Technik an der Mayo Clinic in Rochester, Minnesota, USA. Während seiner gesamten Laufbahn hat er eng mit dem Militär zusammengearbeitet. Er leitete ein interdisziplinäres Netzwerk aus mehreren Instituten, das an der muskuloskelettalen Rehabilitation von schwer verwundeten Soldaten forschte. Das breit angelegte Forschungsprogramm sollte die Rehabilitationsrate sowie die Rehabilitationsergebnisse bei Militärangehörigen und Veteranen verbessern, die ein schweres Trauma der Gliedmaßen erlitten haben. Für seine Arbeit erhielt Kaufman zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen, darunter den American Society of Biomechanik (ASB) Borelli Award, den Research Award der American Academy of Orthotists and Prosthetists und den Clinical Research Award der American Academy of Orthopedic Surgeons.
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