Neue Mög­lich­kei­ten der fle­xi­blen Schaft­ge­stal­tung an der obe­ren Extre­mi­tät mit Epoxid­har­zen — Ein Erfahrungsbericht

St. Reinelt, A. v. Ascheberg, E. Andres
Die Versorgung mit einer TMR-Schulterexprothese mit „DynamicArm plus“ stellt besondere Anforderungen an die Orthopädie-Technik. Im Folgenden wird die Herstellung eines teil­flexiblen Außenschaftes erläutert, der mit den Flexibilitätsvorteilen des HTV-Innenschaftes korrespondiert. Bei der Konstruktion wurden insbesondere Zonen unterschiedlicher Steifigkeit bis hin zu flexiblen Anteilen berücksichtigt. Durch neue flexible und zugfeste Fasermaterialien für die Epoxid-Nasslaminattechnik wurde eine Schaftkonstruktion mit tragenden und flexiblen Anteilen in Kombination mit einem Silikon-Innenschaft möglich.

Ein­lei­tung

Die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung nach Exar­ti­ku­la­ti­on im Schul­ter­ge­lenk stellt die Ortho­pä­die-Tech­nik vor beson­de­re Her­aus­for­de­run­gen. Wird die­se kom­ple­xe Auf­ga­be um einen selek­ti­ven Ner­ven­trans­fer mit anschlie­ßen­der TMR-Ver­sor­gung erwei­tert, stellt sie das der­zei­ti­ge obe­re Ende der Ska­la höchster­ tech­ni­scher und the­ra­peu­ti­scher Ansprü­che dar. Nach wie vor ist der Pro­the­sen­schaft als Mensch-Maschi­ne-Inter­face ­das wich­tigs­te Ele­ment der Pro­the­se, ins­be­son­de­re bei einem der­ar­tig hohen Anspruch an das Hilfs­mit­tel. In die­sem Arti­kel wird die Anfer­ti­gung eines Pro­the­sen­schaf­tes mit sowohl fle­xi­blen als auch rigi­den Zonen geschil­dert. Durch neue fle­xi­ble und zug­fes­te Faser­ma­te­ria­li­en für die Epoxid-Lami­nier­tech­nik wird geziel­te Stei­fig­keit einer­seits und kom­for­ta­ble Tra­ge­si­cher­heit ande­rer­seits ermög­licht. Kom­bi­niert mit einem Innen­schaft aus HTV-Sili­kon wird die­ser nicht sei­ner fle­xi­blen Eigen­schaf­ten beraubt.

Indi­ka­ti­on

Beim vor­ge­stell­ten Pati­en­ten wur­de post­trau­ma­tisch eine Schulter­exartikulation durch­ge­führt. Eine Erst­ver­sor­gung des Pati­en­ten erfolg­te im ­April 2016 mit HTV-Sili­kon-­In­nen­schaft und Acryl­harz-Außen­schaft (Abb. 1). Eine zuver­läs­si­ge Steue­rung der Pro­the­se war ins­be­son­de­re bei Tätig­kei­ten, bei denen sich der Pati­ent nach vor­ne beu­gen muss, schwie­rig. Denn das auf­tre­ten­de Rota­ti­ons­mo­ment sorg­te dafür, dass der dor­sa­le Schaft­an­teil – und damit die Elek­tro­de, die für die Exten­si­on des Ellen­bo­gen­ge­len­kes (Dynamic­Arm Plus) zustän­dig war – zeit­wei­se den Kon­takt zur Haut­ober­flä­che ver­lor. Eine zuver­läs­si­ge Steue­rung der Pro­the­se war damit nicht mehr gegeben.

Anfor­de­run­gen an  die Versorgung

Die Schaf­ter­neue­rung erfolg­te im Dezem­ber 2017. Das Stumpf­vo­lu­men hat­te sich bis zu die­sem Zeit­punkt nur unwe­sent­lich ver­än­dert. Aller­dings tra­ten auf­grund des Ner­ven­wachs­tums Ver­än­de­run­gen der Hot­spots auf – kon­kret muss­ten zwei Elek­tro­den auf­grund einer Ver­än­de­rung der effi­zi­en­tes­ten Posi­ti­on des EMG-Signals ver­la­gert werden.

In die­sem Zusam­men­hang ent­stand die Idee, für den Außen­schaft eine Mate­ri­al­kom­bi­na­ti­on aus Epoxid­harz und dem sowohl zug­fes­ten als auch fle­xi­blen Ortho­pox-­Ge­we­be­flex zu nut­zen. Die­ser Außen­schaft soll­te in der Lage sein, gemein­sam mit dem HTV-Sili­kon-Innen­schaft mit einer mitt­le­ren Shore-A-Här­te den Bewe­gun­gen der Schul­ter und des Rump­fes zu fol­gen. Gera­de im Hin­blick auf eine Pro­the­se nach selek­ti­vem Ner­ven­trans­fer mit mul­ti­pler Signal­ge­bung ist ein in jeder Bewe­gung siche­rer Kon­takt der Elek­tro­den zur Haut essen­ti­ell. Ein Nach­teil der Erst­ver­sor­gung des Pati­en­ten bestand dar­in, dass die Fle­xi­bi­li­tät des Sili­kons durch die stei­fe Außen­schaft­kon­struk­ti­on stark ein­ge­schränkt wur­de. Durch die Ver­wen­dung von Epoxid­harz und die neu­en Faser­ma­te­ria­li­en konn­te nun zudem eine Gewichts­er­spar­nis von ca. 50 % gegen­über dem zuvor ver­wen­de­ten Acryl­harz­la­mi­nat erreicht wer­den. Die Redu­zie­rung des Gewich­tes des Außen­schaf­tes wird über­wie­gend durch den Ver­zicht auf Per­lon­tri­kot erreicht. Die Sili­kon-Wan­dungs­stär­ke lässt sich durch die Epoxid-Tech­nik aller­dings nicht ver­rin­gern, weil die Bau­hö­he der Ein­guss-Schei­ben eine gewis­se Wan­dungs­stär­ke erfor­dert, in der Regel zwi­schen 3 und ­4 mm.

Der neue Pro­the­sen­schaft soll­te am Kraft­ein­lei­tungs­be­reich des Schul­ter­ge­lenks starr sein und die auf­tre­ten­den Kräf­te mög­lichst gleich­mä­ßig auf den Sili­kon-Innen­schaft ver­tei­len. Dies wur­de über eine V‑förmige Armie­rung mit dem Ortho­pox-Car­bon­fa­ser­ge­we­be erreicht (Abb. 2). Es han­delt sich bei die­ser Car­bon­fa­ser um ein Gewe­be mit Köper‑2/2‑Bindung und einem Flä­chen­ge­wicht von 240 g/m2. Zusätz­lich ist auf der Faser eine Epoxid­be­schich­tung auf­ge­bracht, die beim Schnei­den der Faser ein Aus­fran­sen ver­hin­dert. Aus die­sem Grund ist ein Abkle­ben der Zuschnit­te mit dop­pel­sei­ti­gem Kle­be­band nicht erfor­der­lich.  Die Ver­ar­bei­tung von Ortho­pox weicht gegen­über den übli­chen Ver­fah­ren ins­be­son­de­re in fol­gen­den Aspek­te Ver­än­de­rung der Kri­te­ri­en zum Schlei­fen, z. B. bei der Kan­ten­ver­ar­bei­tung: Das Gewe­be­flex ist nur bei mehr­la­gi­gem Auf­bau schleif­bar; ein oder zwei Lagen wer­den mit einer Kev­lar-Sche­re geschnitten.

  •  Ver­än­de­rung der Kri­te­ri­en bezüg­lich der Ober­flä­chen­struk­tur: Ein Bekle­ben mit Kunst­le­der oder PVC-Foli­en aus der Kfz-Indus­trie sind zur Zeit die ein­zi­gen Möglichkeiten.
  • Ver­än­de­rung der Kri­te­ri­en bezüg­lich der Bestim­mun­gen zur Ein­hal­tung der Arbeits­si­cher­heit (Staub­schutz­mas­ke Klas­se II in Ver­bin­dung mit Absaug­vor­rich­tung, die gemäß den Berufs­ge­nos­sen­schaf­ten die TRGS 900 erfüllt); gene­rell sind die Arbeits­platz­grenz­wer­te für CFK-Mate­ria­li­en einzuhalten.

Erstel­lung der Versorgung

Zunächst wur­de der Bereich des Schaf­tes, der spä­ter die Grund­la­ge für das Schul­ter­ge­lenk bil­det, mit einer Lage Gewe­be­flex (Abb. 3) und meh­re­ren Lagen Car­bon­ver­stär­kung armiert und lami­niert. Im Rah­men der fol­gen­den Anpro­be wur­de das Schul­ter­ge­lenk ­„MovoS­hould­er Swing“ ent­spre­chend den Auf­bau­richt­li­ni­en posi­tio­niert und mit Spach­tel fixiert. Mit einer zwei­ten Lage Gewe­be­flex und wei­te­rer Car­bon­ver­stär­kung über dem Schul­ter­bü­gel wur­de ein abschlie­ßen­des Lami­nat erstellt (Abb. 4). Durch den Ver­zicht auf Perlon­gewebe fehlt ein Trä­ger­ma­te­ri­al für Farb­pig­men­te, wodurch nur eine blas­se,­ unzu­rei­chen­de Fär­bung des Schaf­tes erzielt wer­den konn­te. Aus die­sem Grund wur­de der Pro­the­sen­schaft mit einem Kunst­le­der in Car­bon-Optik beklebt. Dadurch ent­stand ein homo­ge­nes, attrak­ti­ves Finish mit einer ange­neh­men Ober­flä­chen­hap­tik, da das Mate­ri­al wegen sei­ner Stär­ke von 1,5 mm bei ­Kon­takt dämp­fend wirkt. Der Anwen­der emp­fand die­se neue Art des Ober­flä­chen­fi­nishs (Abb. 5) deut­lich ange­neh­mer als bei der Vorversorgung.
Es zeigt sich somit, dass die Akzep­tanz einer Pro­the­sen­ver­sor­gung mit zuneh­men­dem Tra­ge­kom­fort und erhöh­ter Steue­rungs­si­cher­heit steigt. Der Pati­ent berich­tet zudem von einer deut­li­chen Zunah­me der All­tags­taug­lich­keit und dar­aus resul­tie­rend einer Stei­ge­rung der Tragedauer.

Fazit

Die­ses kom­ple­xe Fall­bei­spiel einer Schul­ter­ex­ar­ti­ku­la­ti­ons­pro­the­se mit TMR zeigt­ deut­lich, dass sich die Eigen­schaf­ten eines Schaf­tes durch den geziel­ten Ein­satz moder­ner Mate­ria­li­en prä­zi­se an die Anfor­de­run­gen der Pro­the­sen­sta­tik und des Anwen­ders anpas­sen las­sen. Das Ver­sor­gungs­er­geb­nis hat zu einer erheb­li­chen Stei­ge­rung der All­tags­taug­lich­keit geführt, da der Schaft jetzt in der Lage ist, den Bewe­gun­gen des Kör­pers in jeder Situa­ti­on exakt zu folgen.

Für die Autoren:
Ste­fan Reinelt
Pati­ent Care Cen­ter Duderstadt/Berlin Otto Bock Health­Ca­re GmbH
Max-Näder-Str. 15
37115 Duder­stadt
stefan.reinelt@ottobock.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Wei­ter­füh­ren­de Literatur:

  • Keh­nen M. Lami­nier­har­ze für den Leicht­bau in der Tech­ni­schen Ortho­pä­die. Ortho­pä­die Tech­nik, 2018; 69 (6): 52–55
  • Kui­kenT, Duma­ni­an G, Lip­schutz RD, Mil­ler LA, Stub­be­feld KA. The use of tar­ge­ted mus­cle rein­ner­va­ti­on for impro­ved myoelec­tric pro­sthe­sis con­trol in a bila­te­ral should­er dis­ar­ti­cu­la­ti­on ampu­tee. Pro­sthe­tics and Ortho­tics Inter­na­tio­nal, 2004; 28: 245–253
Zita­ti­on
Rei­nelt St, Asche­berg vA, And­res E. Neue Mög­lich­kei­ten der fle­xi­blen Schaft­ge­stal­tung an der obe­ren Extre­mi­tät mit Epoxid­har­zen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2019; 70 (1): 41–43

 

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