Mecha­ni­sche Unter­su­chung von addi­tiv gefer­tig­tem Poly­amid 12 unter Berück­sich­ti­gung werk­stoff­be­ein­flus­sen­der Fak­to­ren aus dem All­tag ortho­pä­di­scher Hilfsmittel

C. Halbauer, S. Matyssek, M. Boos, J. Gregoire, F. Capanni
3D-gedruckte orthopädische Hilfsmittel eröffnen neue Funktions- und Gestaltungsmöglichkeiten und verbessern die Versorgungsqualität mittels patientenindividueller Lösungen. Unabdingbar ist dabei die Gewährleistung der grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen der Hilfsmittel, besonders wenn diese unterschiedlichen Belastungen und Umgebungseinflüssen ausgesetzt sind. Um dies zu gewährleisten, muss folgende Frage beantwortet werden können: Welche im Alltag vorkommenden Faktoren beeinflussen die mechanischen Eigenschaften 3D-gedruckter Materialien und reduzieren womöglich die Leistungsfähigkeit des Hilfsmittels? Dieser Frage wurde im Rahmen laufender Forschungsprojekte zur Entwicklung additiv gefertigter Orthesen und Prothesen nachgegangen [Quelle: Entwicklung eines Verfahrens zur automatisierten Konstruktion, Auslegung und Fertigung patientenindividueller Hilfsmittel im 3D-Druck. ZIM-Kooperationsprojekt, Förderkennzeichen ZF4137909AW8; Entwicklung eines lastadaptierten Vorfußprothesensystems zur Individualversorgung von vorfußamputierten Patienten mit hohem Mobilitäts­anspruch. ZIM-Kooperationsprojekt, Förderkennzeichen KF2186207AK4]. Anhand eines speziell für diesen Zweck entwickelten Ablaufplans wurde additiv gefertigtes Polyamid 12 verschiedenen Einflüssen aus dem Alltag ausgesetzt und in Anlehnung an eine standardisierte Biegeprüfung für Polymere (DIN EN ISO 178) mechanisch geprüft und bewertet.

Ein­lei­tung

Mit der Ein­füh­rung soft­ware­ba­sier­ter Model­lier­sys­te­me (bspw. „Geo­ma­gic® Free­form®“) und dem 3D-Druck in der Ortho­pä­die­tech­nik (OT) hat die digi­ta­le Revo­lu­ti­on in der OT begon­nen, wodurch bereits bestehen­de und neu­ar­ti­ge Hilfs­mit­tel pati­en­ten­spe­zi­fisch kon­stru­iert und her­ge­stellt wer­den kön­nen. Die Dimen­sio­nie­rung addi­tiv gefer­tig­ter ortho­pä­di­scher Hilfs­mit­tel ist dabei an pati­en­ten­in­di­vi­du­el­le Funk­ti­ons­merk­ma­le geknüpft, wobei das Hilfs­mit­tel als Medi­zin­pro­dukt die grund­le­gen­den Sicher­heits- und Leis­tungs­an­for­de­run­gen der am 26. Mai 2021 in Kraft getre­te­nen Ver­ord­nung (EU) 2017/745 über Medi­zin­pro­duk­te erfül­len muss. Die Aus­le­gung ist dabei maß­geb­lich von der Erfah­rung des Ortho­pä­die­tech­nik-Mecha­ni­kers bzw. der Ortho­pä­die­tech­nik-Mecha­ni­ke­rin abhän­gig. Dazu bedarf es spe­zi­fi­scher Kennt­nis­se über das mecha­ni­sche Ver­hal­ten der im 3D-Druck ver­wen­de­ten Mate­ria­li­en, um eine für die jewei­li­ge Anwen­dung adäqua­te sta­ti­sche und dyna­mi­sche Belast­bar­keit der Hilfs­mittel zu gewähr­leis­ten. Ein wich­ti­ger Bestand­teil ist dabei die Unter­su­chung werk­stoff­be­ein­flus­sen­der Fak­to­ren aus dem All­tag eines Hilfsmittels.

Anzei­ge

Das Hilfs­mit­tel im Alltag

Betrach­tet man den Ver­wen­dungs­all­tag eines Hilfs­mit­tels, so wird schnell klar, dass die unter­schied­lichs­ten Ein­flüs­se dar­auf ein­wir­ken. Am Bei­spiel des Besuchs eines Pati­en­ten mit einer addi­tiv gefer­tig­ten Unter­schen­kel­or­the­se (Abb. 1) in einem Ther­mal­bad lässt sich das The­ma „werk­stoff­be­ein­flus­sen­de Fak­to­ren“ ver­deut­li­chen. Bereits auf dem Weg in die Ther­me wir­ken unter­schied­li­che Belas­tun­gen wäh­rend des Gangs auf die Ver­sor­gung ein, die sich abhän­gig vom Akti­vi­täts­grad in Rich­tung und Grö­ße stark unter­schei­den und mit vie­len Last­wech­seln ver­bun­den sind.

Ange­kom­men in der Ther­me durch­läuft die Ver­sor­gung im wahrs­ten Sin­ne ein Wech­sel­bad ver­schie­dens­ter Umge­bungs­ein­flüs­se – von häu­fi­gem und län­ge­rem Kon­takt mit Was­ser oder Sole über den Kon­takt mit che­mi­schen Sub­stan­zen wie Chlor und Des­in­fek­ti­ons­mit­teln, hohen und schnel­len Tem­pe­ra­tur­wech­seln im Sau­na­be­reich bis zum Kon­takt mit Sham­poo und Schweiß. Dabei ist es wich­tig, dass unab­hän­gig vom äuße­ren Ein­fluss die an das Hilfs­mit­tel gestell­ten Sicher­heits- und Leis­tungs­an­for­de­run­gen jeder­zeit gewähr­leis­tet wer­den müssen.

Werk­stoff­be­ein­flus­sen­de Fak­to­ren in der Literatur

In der Lite­ra­tur fin­det man zahl­rei­che Unter­su­chun­gen, die die mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten von Poly­me­ren in Abhän­gig­keit von der Tem­pe­ra­tur ana­ly­sie­ren 1. Jedoch gibt es in die­sem Zusam­men­hang nur weni­ge Ver­öf­fent­li­chun­gen über addi­tiv gefer­tig­tes Poly­amid 12 (PA12), ein auf­grund sei­ner Bio­kom­pa­ti­bi­li­tät favo­ri­sier­ter Werk­stoff für 3D-gedruck­te Hilfs­mit­tel im Bereich OT 2 3 4.

Eben­so gibt es kei­ne Unter­su­chung hin­sicht­lich der Unter­schie­de der mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten zwi­schen iden­ti­schen Pro­ben­geo­me­trien aus ver­schie­de­nen Druck­ver­fah­ren für PA12 in Abhän­gig­keit von vari­ie­ren­den Tem­pe­ra­tu­ren. Dar­über hin­aus wer­den die Ein­fluss­grö­ßen auf das Mate­ri­al nach dem 3D-Druck in der Lite­ra­tur eher bran­chen- bzw. anwen­dungs­spe­zi­fisch beschrieben.

Spe­zi­ell im Bereich Ortho­pä­die­tech­nik wur­den bis­lang werkstoff­beeinflussende Fak­to­ren in Bezug auf 3D-gedruck­te Hilfs­mit­tel nicht sys­te­ma­tisch unter­sucht, wes­halb bis­her auch kei­ne anwend­ba­ren Regeln für die Tes­tung sol­cher Ein­fluss­fak­to­ren existieren.

Ziel­stel­lung

Die vor­lie­gen­de Arbeit hat zum Ziel, poten­zi­el­le Ein­fluss­fak­to­ren auf die mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten 3D-gedruck­ter Hilfs­mit­tel aus PA12 zu iden­ti­fi­zie­ren. Dazu wer­den die­se mit­tels kon­di­tio­nier­ter Mate­ri­al­pro­ben im Bie­ge­ver­such sys­te­ma­tisch geprüft und bewer­tet. Zusätz­lich wer­den die Ein­fluss­fak­to­ren hin­sicht­lich der mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten in Bezug auf zwei gän­gi­ge Druck­ver­fah­ren – Selek­ti­ves Laser­sin­tern (SLS) und Mul­ti­jet-Fusi­on-Ver­fah­ren (MJF) – untersucht.

Ermitt­lung und Aus­wahl von Ein­fluss­fak­to­ren auf die mecha­ni­schen Eigen­schaften 3D-gedruck­­ter Werkstücke

Abhän­gig von der Ver­sor­gungs- und Anwen­dungs­art kön­nen unter­schied­li­che Ein­flüs­se auf ein Hilfs­mit­tel ein­wir­ken. Dabei sind jedoch ein­zel­ne Ein­fluss­fak­to­ren unter­schied­lich rele­vant in Bezug auf die Leis­tungs­fä­hig­keit des jewei­li­gen Hilfs­mit­tels. So wirkt sich bei­spiels­wei­se eine erhöh­te Fle­xi­bi­li­tät auf Grund erhöh­ter Umge­bungs­tem­pe­ra­tu­ren bei einer Fuß­or­the­se nega­ti­ver aus als bei einer Fin­ger­schie­ne, da wäh­rend des Gangs die resul­tie­ren­de Durch­bie­gung deut­lich zuneh­men kann, die bio­me­cha­ni­schen Leis­tungs­an­for­de­run­gen nicht mehr erfüllt wer­den und im schlimms­ten Fall ein Mate­ri­al­ver­sa­gen resul­tie­ren kann. Für die Zwe­cke der hier vor­ge­stell­ten Stu­die wur­den im ers­ten Schritt mög­li­che all­ge­mei­ne Ein­fluss­fak­to­ren auf einen Hilfs­mit­tel­werk­stoff in drei Grup­pen kategorisiert:

  • che­mi­sche Fak­to­ren: Desinfek­tionsmittel, Rei­ni­gungs­mit­tel, Kosmetika
  • phy­si­ka­li­sche Fak­to­ren: mecha­ni­sche Belas­tun­gen (Zug, Druck, Bie­gung, Tor­si­on), Tem­pe­ra­tur, UV-Strah­lung, Nach­be­ar­bei­tung (ther­mi­sche Umformung)
  • bio­lo­gi­sche Fak­to­ren: Was­ser, Schweiß

In einem zwei­ten Schritt erfolg­te eine spe­zi­fi­sche Beur­tei­lung der all­ge­mei­nen Ein­fluss­fak­to­ren im Hin­blick auf den Anwen­dungs­be­reich einer Unter­schen­kel­or­the­se. Dazu dien­te eine Feh­ler­mög­lich­keits- und Ein­fluss­ana­ly­se (FMEA) zur sys­te­ma­ti­schen Beur­tei­lung der Ein­fluss­fak­to­ren und der dar­aus resul­tie­ren­den Risi­ken für das Hilfs­mit­tel und sei­ne mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten. In der Fol­ge wur­den die Ein­flüs­se Was­ser, Schweiß, Käl­te und Wär­me, die auch in der Lite­ra­tur bis­wei­len unzu­rei­chend doku­men­tiert sind, als rele­vant identifiziert.

Metho­dik

Für die Unter­su­chung wur­de ein sys­te­ma­ti­scher Ablauf­plan (Abb. 2) ent­wi­ckelt. Die­ser glie­dert sich in die fol­gen­den Hauptschritte:

  1. Kon­fi­gu­ra­ti­on der mecha­ni­schen Testung,
  2. sta­ti­sche Prü­fung ohne Konditionierung,
  3. Pro­ben­kon­di­tio­nie­rung mit Einflussfaktoren,
  4. sta­ti­sche Prü­fung der kon­di­tio­nier­ten Proben,
  5. Daten­ana­ly­se.

Prüf-Set­up

Um die Ver­än­de­rung der mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten von PA12 unter dem Ein­fluss der rele­van­ten Fak­to­ren zu unter­su­chen, wur­de ein sta­ti­sches Prüf­ver­fah­ren gewählt, das die zu erwar­ten­de Belas­tungs­art des Hilfs­mit­tels im spä­te­ren Ein­satz abbil­det. Da die Soh­le im Vor­fuß­be­reich der Orthe­se hohen Ver­for­mun­gen und Bie­ge­be­las­tun­gen aus­ge­setzt ist, wur­de ein stan­dar­di­sier­ter 3‑Punkt-Bie­ge­ver­such zur Bestim­mung der Bie­ge­ei­gen­schaft von Kunst­stof­fen (DIN EN ISO 178) als Grund­la­ge für die Ein­fluss­ana­ly­se aus­ge­wählt. Die Dimen­sio­nen des Prüf­auf­baus und der Pro­ben­geo­me­trie wur­den als Refe­renz an eine mitt­le­re Schuh­grö­ße (EU 40) ange­lehnt. Der Vor­fuß­be­reich ab der Bal­len­li­nie beträgt dabei ca. 70 mm, wodurch der Abstand der Auf­la­ger im Bie­ge­ver­such auf 140 mm ein­ge­stellt wur­de. Die Dimen­si­on der Flach­pro­be (H × B × T) wur­de auf 5 × 200 × 35 mm fest­ge­legt. Zur Abbil­dung eines maxi­ma­len phy­sio­lo­gi­schen Abroll­win­kels des Vor­fu­ßes beim Gehen von 60° ist eine Durch­bie­gung von 40 mm not­wen­dig (Abb. 3) 5.

Kon­di­tio­nie­rung

Die Flach­pro­ben wur­den zur Kon­di­tio­nie­rung mit Flüs­sig­kei­ten (Was­ser, Schweiß) in glä­ser­ne Behäl­ter gestellt und für 7,5 Stun­den voll­stän­dig mit der jewei­li­gen Flüs­sig­keit umge­ben. Zur Kon­di­tio­nie­rung mit Was­ser wur­de destil­lier­tes Was­ser ver­wen­det. Als künst­li­che Schweiß­lö­sung dien­te eine Rezep­tur mit detail­lier­ten Mas­se­an­tei­len aller Bestand­tei­le aus DIN EN ISO 16128. Der Mas­se­an­teil von Milch­säu­re in der ver­wen­de­ten Lösung betrug 3 %.

Zur Kon­di­tio­nie­rung mit Wär­me und Käl­te wur­den die Pro­ben für 7,5 Stun­den jeweils in einer Tem­pe­ra­tur­kam­mer gela­gert und anschlie­ßend getes­tet. Die Tem­pe­ra­tu­ren lagen – abge­se­hen von gerin­gen Schwan­kun­gen durch das Öff­nen und Schlie­ßen der Tem­pe­ra­tur­kam­mer – bei + 60 °C bzw. — 15 °C.

Test­pro­to­koll und Analyse

Die Tes­tung wur­de ent­spre­chend den Fer­ti­gungs­ver­fah­ren (SLS, MJF) in die Kon­troll­grup­pen PA12SLS und PA12MJF unter­teilt. Zu Beginn der Test­rei­hen wur­de ein Basis­ver­such (ohne Kon­di­tio­nie­rung der Pro­ben) durch­ge­führt. Die ermit­tel­ten Wer­te dien­ten als Refe­renz für einen spä­te­ren Ver­gleich mit kon­di­tio­nier­ten Pro­ben und mit den Mate­ri­al­an­ga­ben der Druck­dienst­leis­ter. Im Anschluss wur­den die Test­rei­hen der Pro­ben mit Kon­di­tio­nie­rung durch­ge­führt. Als Pro­zess­pa­ra­me­ter für die sta­ti­sche Prü­fung wur­de eine Weg­steue­rung mit einem maxi­ma­len Ver­fahr­weg von 45 mm und einer Prüf­ge­schwin­dig­keit von 15 mm/min fest­ge­legt. Der Basis­ver­such und die Test­rei­hen Wär­me und Käl­te wur­den mit einer Pro­ben­an­zahl von jeweils n = 5 durch­ge­führt, Was­ser und Schweiß mit jeweils n = 10. Die gesam­te Tes­tung wur­de auf einer sta­ti­schen Prüf­ma­schi­ne des Typs „Z050“ (Zwick­Ro­ell GmbH & Co. KG, Ulm) durchgeführt.

Ent­spre­chend der Norm DIN EN ISO 178 zur Bestim­mung der Bie­ge­ei­gen­schaf­ten von Kunst­stof­fen ist der Ver­gleichs­pa­ra­me­ter zwi­schen den Tes­tun­gen der resul­tie­ren­de Bie­ge­mo­dul Ef in MPa aus den ein­zel­nen Test­rei­hen. Ergän­zend zur mecha­ni­schen Prü­fung wur­de das Dif­fu­si­ons­ver­hal­ten der jewei­li­gen Kon­troll­grup­pen PA12 SLS und PA12 MJF ermit­telt, da die­ses in Bezug auf die Kon­di­tio­nie­rung des Werk­stoffs mit Flüs­sig­kei­ten von gro­ßem Inter­es­se erschien. Dazu wur­den alle Pro­ben vor und nach der Kon­di­tio­nie­rung mit­tels einer Fein­waa­ge gewo­gen. Zur Ana­ly­se signi­fi­kan­ter Unter­schie­de zwi­schen den Test­rei­hen wur­de ein Mann-Whit­ney-U-Test (α = 5 %) als sta­tis­ti­sches Ver­fah­ren angewendet.

Ergeb­nis­se

Alle Prü­fun­gen konn­ten erfolg­reich nach Pro­to­koll durch­ge­führt wer­den, und es kam zu kei­nem Pro­ben­ver­sa­gen inner­halb der gesam­ten Tes­tung. Das cha­rak­te­ris­ti­sche Mate­ri­al­ver­hal­ten von PA12 – ein linea­rer Anstieg der Bie­ge­span­nung gegen­über der Bie­ge­deh­nung mit anschlie­ßen­der nicht­li­nea­rer Pla­s­ti­fi­zie­rung – konn­te in allen Pro­ben nach­ge­wie­sen wer­den. Einen Ergeb­nis­über­blick über die resul­tie­ren­den Bie­ge­mo­du­le aller Test­rei­hen bie­tet Abbil­dung 4. Bei­de Kon­troll­grup­pen erziel­ten im Basis­ver­such einen höhe­ren Bie­ge­mo­dul als vom Her­stel­ler ange­ge­ben – bei PA12 SLS 13,26 % und bei PA12 MJF 1,27 %. Ergeb­nis­se im Einzelnen:

  • Die Kon­di­tio­nie­rung mit Was­ser führ­te zu einer gerin­gen Erhö­hung des Bie­ge­mo­duls bei der Kon­troll­grup­pe PA12 SLS um 5,12 %, jedoch zu einer Redu­zie­rung um ‑7,9 % bei PA12 MJF.
  • Die Gegen­über­stel­lung von Was­ser mit der künst­li­chen Schweiß­lö­sung führ­te zu kei­nem signi­fi­kan­ten Unterschied.
  • Der Ein­fluss­fak­tor Wär­me resul­tier­te inner­halb der Kontroll­gruppen in einer signi­fi­kan­ten ­Redu­zie­rung des Bie­ge­mo­duls gegen­über dem Basis­ver­such – bei PA12 SLS um ‑33,55 % und bei PA12 MJF um 48,55 %.
  • Im Gegen­satz dazu führ­te die ­Käl­te­kon­di­tio­nie­rung zu einem signi­fi­kan­ten Anstieg des Bie­ge­mo­duls in bei­den Kon­troll­grup­pen – bei PA12 SLS um 22,01 % und bei PA12 MJF um 13,00 %.
  • Das Dif­fu­si­ons­ver­hal­ten bei­der Kon­troll­grup­pen erwies sich als ähn­lich groß: Die Kontroll­gruppe PA12 SLS nahm 0,10 g ± 0,04 g (0,30 % ± 0,13 %) Flüs­sig­keit auf, die Kon­troll­grup­pe PA12 MJF 0,11 g ± 0,04 g (0,32 % ± 0,11 %) (Abb. 4).

Dis­kus­si­on

Die Ana­ly­se zeigt, dass die als rele­vant iden­ti­fi­zier­ten Ein­fluss­fak­to­ren die mecha­ni­sche Bie­ge­ei­gen­schaft von addi­tiv gefer­tig­tem PA12 zum Teil stark beein­flus­sen kön­nen. Eben­so ent­schei­dend ist das gewähl­te 3D-Druck­ver­fah­ren, da die genann­ten Ein­fluss­fak­to­ren in Abhän­gig­keit vom Ver­fah­ren ein unter­schied­li­ches Ver­hal­ten für den resul­tie­ren­den Bie­ge­mo­dul her­vor­ru­fen – beson­ders im Fal­le einer Kon­di­tio­nie­rung mit Flüssigkeiten.

Unab­hän­gig vom Druck­ver­fah­ren wir­ken sich Wär­me und Käl­te am stärks­ten auf den Bie­ge­mo­dul von addi­tiv gefer­tig­tem PA12 aus. Bei­spiels­wei­se deckt ein Sicher­heits­fak­tor von 1,5 in Bezug auf die Aus­le­gung 3D-gedruck­ter Hilfs­mit­tel, die haupt­säch­lich auf Bie­gung belas­tet wer­den, den Wär­me­ein­fluss nicht mehr ab. Im schlimms­ten Fall könn­te es dadurch zu einem Leis­tungs­ver­lust des Hilfs­mit­tels kom­men, wodurch die zu ver­sor­gen­de Per­son Scha­den neh­men könn­te. Beim gewähl­ten Bei­spiel der Unter­schen­kel­or­the­se käme es zu einer mas­si­ven Reduk­ti­on der Stei­fig­keit im Vor­fuß­be­reich, wodurch ein Stol­pern oder ein Sturz pro­vo­ziert wer­den könnte.

Auf Basis der erwor­be­nen Kennt­nis­se wur­de der Pro­to­typ der Unter­schen­kel­or­the­se dar­auf­hin kon­struk­tiv opti­miert: Mit­tels einer anstei­gen­den Höhe des Pro­fils im Vor­fuß­be­reich konn­te eine Balan­ce zwi­schen Fle­xi­bi­li­tät (phy­sio­lo­gisch not­wen­di­ger Bie­gung) und Bie­ge­stei­fig­keit (Feder­wir­kung zur Unter­stüt­zung des Gang­bil­des) erzeugt wer­den, ohne im Fal­le einer Kon­di­tio­nie­rung mit Wär­me einen Leis­tungs­ver­lust außer­halb der ange­streb­ten Funk­ti­ons­merk­ma­le erwar­ten zu lassen.

Fazit und Ausblick

Das Bei­spiel demons­triert, dass mit Hil­fe einer Risi­ko­ana­ly­se und neu­er Kennt­nis über ein ver­än­der­tes Mate­ri­al­ver­hal­ten durch bestimm­te Ein­fluss­fak­to­ren geziel­te Maß­nah­men in der Ent­wick­lung getrof­fen wer­den kön­nen, um die Sicher­heit und Leis­tungs­fä­hig­keit 3D-gedruck­ter Hilfs­mit­tel zu gewährleisten.

Die Ergeb­nis­se haben jedoch noch kei­ne umfas­sen­de Aus­sa­ge­kraft bezüg­lich einer Beant­wor­tung der ursprüng­li­chen Fra­ge­stel­lung die­ser Arbeit. Dazu ist es not­wen­dig, die ver­wen­de­te Metho­dik auf wei­te­re sta­ti­sche Prüf­ver­fah­ren anzu­wen­den. Ide­al hier­für ist ein stan­dar­di­sier­tes Prüf­ver­fah­ren für Kunst­stof­fe mit­tels Zug­prü­fung (DIN EN ISO 527–2), wodurch zusätz­lich Erkennt­nis­se zum mecha­ni­schen Ver­hal­ten (Zug­mo­dul, Zug­fes­tig­keit usw.) gewon­nen wer­den können.

Eben­so ist die­ses Prüf­ver­fah­ren sehr gut durch zusätz­li­che Mess­sys­te­me erwei­ter­bar, bei­spiels­wei­se durch ein Exten­so­me­ter oder ein opti­sches Mess­sys­tem für digi­ta­le Bild­kor­re­la­ti­on. Die dadurch zusätz­lich ermit­tel­ten Daten eröff­nen die Mög­lich­keit eines Trans­fers zur Fini­ten-Ele­men­te-Simu­la­ti­on von Hilfs­mit­teln im Zustand einer Konditionierung.

Dar­über hin­aus ist es erfor­der­lich, ein dyna­mi­sches Prüf­ver­fah­ren in die Metho­dik zu inte­grie­ren, um den Ein­fluss werk­stoff­be­ein­flus­sen­der Fak­to­ren hin­sicht­lich einer ver­än­der­ten Zeit- und Dau­er­fes­tig­keit kon­di­tio­nier­ter Pro­ben oder Hilfs­mit­tel zu ana­ly­sie­ren. Dabei soll­te im bes­ten Fall eine Dau­er­prü­fung sowohl für stan­dar­di­sier­te Pro­ben als auch für Hilfs­mit­tel­pro­to­ty­pen durch­ge­führt werden.

Bezüg­lich der hier im Mit­tel­punkt ste­hen­den Unter­schen­kel­or­the­se wur­de im Rah­men des For­schungs­pro­jek­tes eine dyna­mi­sche Prü­fung nach DIN EN ISO 10328 durch­ge­führt, um die Soh­len­geo­me­trie und ins­be­son­de­re die kon­struk­ti­ven Maß­nah­men im Vor­fuß­be­reich zu prü­fen. Die Soh­len­geo­me­trie wur­de dazu auf einer elek­tro­dy­na­mi­schen Prüf­ma­schi­ne des Typs „LTM‑5“ (Zwick­Ro­ell GmbH & Co. KG, Ulm) mit einer Mil­li­on Last­zy­klen bei 3 Hz geprüft und durch­lief die Prü­fung ohne fest­stell­ba­ren Leis­tungs­ver­lust (Abb. 5).

Für die Autoren:
Chris­ti­an Halbau­er, M. Eng.
For­schungs­grup­pe Biomechatronik
Fakul­tät Mecha­tro­nik & Medizintechnik 
Tech­ni­sche Hoch­schu­le Ulm
Albert-Ein­stein-Allee 55 
89081 Ulm
christian.halbauer@thu.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Halbau­er C, Matyssek S, Boos M, Gre­go­i­re J, Capan­ni F. Mecha­ni­sche Unter­su­chung von addi­tiv gefer­tig­tem Poly­amid 12 unter Berück­sich­ti­gung werk­stoff­be­ein­flus­sen­der Fak­to­ren aus dem All­tag ortho­pä­di­scher Hilfs­mit­tel. Ortho­pä­die Tech­nik, 2022; 73 (5): 84–88

 

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