Die Hygie­ne ist lei­der oft ein unge­lieb­tes Kind

Dr. Helge Hanitzsch sprach im Rahmen der Expolife 2023 über die neuen RKI-Hygieneempfehlungen zur Händehygiene und Flächendesinfektion und ihre Integration in das Hygienemanagement im Sanitätshaus.

Wer jetzt ans ein­fa­che Put­zen denkt, der irrt: Im Inter­view erklärt der Natur­wis­sen­schaft­ler, war­um sich man­che Din­ge trotz Pan­de­mie­er­fah­rung nie ändern, Igno­ranz gefähr­lich, und Sau­ber­keit span­nend und Hygie­ne lei­der oft ein unge­lieb­tes Kind ist.

OT: Herr Dr. Hanitzsch, wie sind Sie eigent­lich zum The­ma Hygie­ne gekom­men und was ist das Inter­es­san­te daran?

Hel­ge Hanitzsch: Zunächst gab es eine fami­liä­re Prä­gung. Mein Vater repa­rier­te als selbst­stän­di­ger Hand­werks­meis­ter Ste­ri­li­sa­to­ren für Kran­ken­häu­ser und Arzt­pra­xen. Wäh­rend mei­ner Aus­bil­dung in der Vete­ri­när­me­di­zin befass­te ich mich bereits mit Aspek­ten der Ste­ri­li­sa­ti­on in dem Bezirks­in­sti­tut für Vete­ri­när­me­di­zin in Dres­den. Wäh­rend mei­ner anschlie­ßen­den Tätig­keit als Medi­cal Mana­ger in einem Phar­ma­un­ter­neh­men gehör­te die Orga­ni­sa­ti­on der hygie­ni­schen Zer­ti­fi­zie­rung von neu­en Pro­duk­ten des Unter­neh­mens zu mei­nen Auf­ga­ben. Ich war schließ­lich für Deutsch­land, Öster­reich und die Schweiz zustän­dig, was auf Dau­er nicht fami­li­en­freund­lich war. Als ich dann beschloss, kür­zer zu tre­ten, bekam ich eine Anfra­ge von einem ande­ren Phar­ma­un­ter­neh­men, ob ich mir vor­stel­len könn­te, Kun­den des Unter­neh­mens als Hygie­ne­be­auf­trag­te aus­zu­bil­den. Im ers­ten Augen­blick habe ich abge­lehnt. Als ich mich jedoch etwas mit der The­ma­tik befass­te, begann mich die­ses The­ma zu inter­es­sie­ren, nach­dem ich dies­be­züg­lich eini­ge Kur­se und Fort­bil­dun­gen besucht hat­te und fest­stell­te, dass es da – auch in Arzt­pra­xen – einen sehr gro­ßen Infor­ma­ti­ons­be­darf gab.

OT: Die Coro­na-Pan­de­mie hat das The­ma Hygie­ne nun eine Wei­le ganz oben auf die Tages­ord­nung gesetzt, inzwi­schen scheint sich die Pan­de­mie aber ihrem Ende zuzu­nei­gen. Hat sie etwas in der Gesell­schaft verändert?

Hanitzsch: Die Hygie­ne ist lei­der oft in der Gesell­schaft ein unge­lieb­tes Kind, weil die Ein­hal­tung Mühe macht und der Erfolg in der Regel nicht sicht­bar ist. Dabei kann eine funk­tio­nie­ren­de Hygie­ne Leben schüt­zen. Coro­na hat die Akzep­tanz und die Wich­tig­keit der Hygie­ne ver­deut­licht und vie­le Men­schen von der Durch­füh­rung und Wirk­sam­keit einer funk­tio­nie­ren­den Hän­de- und Flä­chen­des­in­fek­ti­on über­zeugt. Zum Bei­spiel wäre die Instal­la­ti­on zusätz­li­cher Hän­de­des­in­fek­ti­ons­mit­tel­spen­der vor Coro­na nur schwer rea­li­sier­bar gewesen.

OT: Vor allem die Nies­eti­ket­te und Hand­hy­gie­ne schei­nen sich nach­hal­tig ver­än­dert zu haben. Gilt das auch für ande­re Bereiche?

Hanitzsch: Nies­eti­ket­te, Hän­de­hy­gie­ne und das Tra­gen von Mas­ken schüt­zen uns nicht nur vor Coro­na­vi­ren. Sie sind gesell­schafts­fä­hig gewor­den und wer­den von den infor­mier­ten Krei­sen der Gesell­schaft akzep­tiert. Das ist ein sehr posi­ti­ver Effekt. Aller­dings zei­gen die mittlerweile
wie­der mit vira­len Infek­tio­nen über­füll­ten Kran­ken­häu­ser eine gegen­läu­fi­ge Ent­wick­lung. Vie­le Men­schen glau­ben, dass sie mit dem Abklin­gen der Coro­na-Epi­de­mie nicht mehr so vor­sich­tig sein müs­sen. Die Zukunft wird da sicher­lich in der Mit­te liegen.

OT: In Sani­täts­häu­sern tra­gen immer noch vie­le Kolleg:innen Mas­ken, die täg­li­che Des­in­fek­ti­on ist hier schon immer Gang und Gäbe. War­um wür­den Sie Sau­ber­keit im Sani­täts­haus anders bewer­ten als zum Bei­spiel im Bademodengeschäft?

Hanitzsch: Sie sagen es. Das Sani­täts­haus ist kein Bade­mo­den­ge­schäft. Als nach­ge­ord­ne­te gesund­heit­li­che Ein­rich­tung tref­fen hier unter Umstän­den kran­ke oder infi­zier­te Men­schen auf­ein­an­der. Men­schen, die aus Kran­ken­häu­sern, Arzt­pra­xen oder auch Pfle­ge­ein­rich­tun­gen kommen
und mit den dort vor­han­de­nen resi­den­ten Kei­men in Kon­takt gekom­men sind. Selbst wenn die­se Kei­me den Pati­en­ten selbst nicht infi­ziert haben, ist es mög­lich, dass der Kun­de die­se Kei­me in sich trägt und mit in das Sani­täts­haus bringt. Und dann hier zum Bei­spiel am Tre­sen, der Tür­klin­ke oder der Lie­ge bezie­hungs­wei­se an einem pro­bier­ten Hilfs­mit­tel hin­ter­lässt. Ein ande­rer Kun­de kommt mit dem Are­al in Kon­takt und infi­ziert sich. Die­sen Vor­gang nennt man Kreuz­kon­ta­mi­na­ti­on. Nun kann das auch im Bade­mo­den­ge­schäft pas­sie­ren, nur ist die Wahr­schein­lich­keit des Kon­tak­tes von mul­ti­mor­bi­den Kun­den im Sani­täts­haus deut­lich grö­ßer. Aus die­sem Grund gibt es das soge­nann­te Basis­hy­gie­ne-manage­ment: Das ist eine Samm­lung von Fest­le­gun­gen, wie zum Bei­spiel dem Hygiene‑, Des­in­fek­ti­ons- oder Rei­ni­gungs­plan. Die­se Plä­ne sol­len so gestal­tet sein, dass genau das nicht passiert.

OT: Ob die Rück­nah­me eines Roll­stuhls oder die Flä­chen­des­in­fek­ti­on in der Anpro­be: Wie sind Ihre Erfah­run­gen mit der Qua­li­fi­ka­ti­on der Mitarbeiter:innen im Bereich Hilfs­mit­tel­auf­be­rei­tung und bio­lo­gi­sche Arbeits­stof­fe? Gibt es da Nach­hol­be­darf? Oder hat Coro­na die Sin­ne so geschärft, dass nun alles­z­um Bes­ten bestellt ist?

Hanitzsch: Lei­der nein. Aus mei­ner Sicht und nach mei­nen Erfah­run­gen gibt es da einen gro­ßen Wis­sens­be­darf. Es ist lei­der über­haupt nicht damit getan, die Flä­chen oder Hilfs­mit­tel ein biss­chen mit einem mit Des­in­fek­ti­ons­mit­tel getränk­ten Lap­pen abzu­wi­schen. Da gibt es vie­le Din­ge, die ich wis­sen muss, wenn ich Des­in­fek­ti­ons­mit­tel anwen­de oder die­se ver­kau­fen möch­te. Was ist zum Bei­spiel mit dem Eiweiß- oder Sei­fen­feh­ler von Des­in­fek­ti­ons­mit­teln oder wie berech­ne ich die benö­tig­te Des­in­fek­ti­ons­mit­tel­kon­zen­tra­ti­on, wenn ich mit Kon­zen­tra­ten arbei­te? Wel­che Wirk­spek­tren der Des­in­fek­ti­ons­mit­tel gibt es? Was muss ich da bei der Anwen­dung beach­ten? Oder ganz wich­tig: Wie kon­trol­lie­re ich, ob mei­ne Des­in­fek­ti­on über­haupt funk­tio­niert? Eine Grund­la­gen­schu­lung und regel­mä­ßi­ge jähr­li­che Hygie­ne­schu­lun­gen sind da uner­läss­lich – und auch vor­ge­schrie­ben –, wenn ich sach­ge­recht des­in­fi­zie­ren oder auf­be­rei­ten möch­te, ohne mich und mei­ne Kun­den zu gefährden.

OT: Ange­sichts der Gefah­ren dürf­te das Inter­es­se am The­ma Hygie­ne doch groß sein? 

Hanitzsch: Lei­der stel­le ich gera­de eine gegen­läu­fi­ge Ten­denz fest, was auch ein Grund für mei­ne dies­jäh­ri­ge Prä­senz auf der Expo war. Es spie­len vie­le Din­ge hier mit hin­ein: ein gewis­ser Über­druss, Zeit- und Per­so­nal­man­gel sowie der Glau­be, dass man eigent­lich schon alles hat und
kann.

OT: Aber die Gefahr ist doch real. Nicht nur für die Kund:innen, auch für mich. Wenn es bei mir zu Hau­se nicht pico­bel­lo sau­ber ist, ist das mein Pro­blem; wenn es in mei­nem aden hakt, ste­he ich dann nicht schon mit einem Bein im Gefängnis?

Hanitzsch: Die Gesund­heits­äm­ter sind mit vie­len The­men sehr beschäf­tigt und kön­nen kaum Zeit für Kon­trol­len in Sani­täts­häu­sern auf­brin­gen. Nur schützt dies im Anzei­ge­fall vor Stra­fe nicht. Nicht ohne Grund gibt es ein Urteil vom Bun­des­ge­richts­hof, wel­ches da lau­tet: „Hygie­ne zählt zu den beherrsch­ba­ren Risi­ken“ (BGH-Urteil: AZ: VI ZR 158/06, VI ZR 118/06. Anm. d. Red). Das heißt, dass jeder nach­ge­wie­se­ne Hygie­ne­man­gel, der zur Anzei­ge kommt, straf­be­wehrt sein kann. Daher sehe ich mei­ne Auf­ga­be dar­in, den Sani­täts­häu­sern mit Rat und Tat zur Sei­te zu stehen.

Die Fra­gen stell­te Tama­ra Pohl.

Zur Per­son: Der pro­mo­vier­te Natur­wis­sen­schaft­ler Dr. Hel­ge Hanitzsch arbei­tet seit 2014 als zer­ti­fi­zier­ter Sach­ver­stän­di­ger und Pri­vat­gut­ach­ter für Hygie­ne, Des­in­fek­ti­on und Trink­was­ser sowie als Schu­lungs­lei­ter für hygie­ne­be­auf­trag­te Kur­se, wel­che eng mit dem VHD (Ver­ei­ni­gung der Hygie­ne­fach­kräf­te Deutsch­lands) abge­stimmt sind und des­sen Güte­sie­gel füh­ren. Dr. Hanitzsch führt die­se Kur­se berufs­über­grei­fend für Ärzt:innen (mit Fort­bil­dungs­be­stä­ti­gung der Ärz­te­kam­mer), Krankenpfleger:innen, aber auch für nicht­ärzt­li­che Berei­che wie Sani­täts­häu­ser, Pfle­ge­hei­me, Podolog:innen, Kos­me­tik­un­ter­neh­men und den Pier­cer­ver­band VPP durch. Dar­über hin­aus berät er Unter­neh­men bei der hygie­ni­schen Dar­stel­lung ihrer Medi­zin­pro­duk­te und der Erar­bei­tung von Auf­be­rei­tungs­emp­feh­lun­gen zur sach­ge­rech­ten Auf­be­rei­tung ihrer Medi­zin­pro­duk­te. Um den umfang­rei­chen Anfor­de­run­gen der Hygie­ne gerecht zu wer­den, beglei­tet sei­ne Fir­ma „Hygie­ne in der Pra­xis“ unter ande­rem auch ani­täts­häu­ser, Pfle­ge­hei­me und Arzt­pra­xen bei dem Auf­bau und der Pfle­ge einer funk­tio­nie­ren­den Basishygiene. 
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