Auf der Suche nach der bes­ten Rollstuhlversorgung

Finn ist elf Jahre alt und braucht einen neuen Rollstuhl, der wirklich besonders sein muss. Sein Orthopädietechniker Stefan Gröger und Finns Mutter Lisa Moczigemba erklären am Beispiel des Jungen, warum richtiges Sitzen so wichtig ist.

„Jetzt ist er end­gül­tig raus­ge­wach­sen“, sagt Lisa Moc­zig­em­ba. Sie deu­tet auf den Roll­stuhl ihres Soh­nes, der in einer Ecke steht und dem man die vie­len Jah­re im Ein­satz deut­lich ansieht. „Den hat Finn schon, seit er drei ist. Aber jetzt ist er zu groß und zu schwer, das packt der Hilfs­an­trieb nicht mehr.“

Finn Moc­zig­em­bas Dia­gno­se ist spas­ti­sche tetra­ple­gi­sche Cere­bral­pa­re­se und er lebt mit sei­ner Fami­lie in einem „Arche­dorf“ im Nor­den Bay­erns. Hier gibt es vie­le alte Haus­tier­ras­sen, von sei­nem Gar­ten aus kann Finn Zie­gen sehen und Hüh­ner hören. Das Haus liegt an einem stei­len Hang; nicht unge­wöhn­lich für die Gegend des Fich­tel­ge­bir­ges. Und eine Her­aus­for­de­rung für Lisa Moc­zig­em­ba, wenn sie mit dem Roll­stuhl vor die Tür will. „Finn muss ja auch an die Luft, an die Son­ne“, sagt sie. Die meis­ten Kin­der, die nicht selbst­stän­dig lau­fen kön­nen, haben mit Osteo­po­ro­se zu kämp­fen. Zum einen wegen der zu gerin­gen Belas­tung der Kno­chen, zum ande­ren schlicht wegen des Vit­amin-D-Man­gels, der bei feh­len­dem Son­nen­licht ent­steht. Des­halb geht Lisa Moc­zig­em­ba so oft es geht mit Finn, sei­ner Schwes­ter und dem Hund spa­zie­ren. „Aber dabei sind wir immer schwer bela­den“, schil­dert sie.

Finn ist inzwi­schen Tag und Nacht beatmungs­pflich­tig, wes­halb immer eine Beatmungs­ma­schi­ne dabei sein muss. Dazu kom­men ein Absaug­ge­rät für den Schleim im Atem­trakt, Flüs­sig­sauer­stoff, eine Ernäh­rungs­pum­pe für die Son­den­nah­rung, ein Oxy­me­ter – die Lis­te ist lang. „Bis jetzt haben wir das alles immer in einen Beu­tel und an die Rücken­leh­ne gepackt, und was Schlau­fen hat, haben wir irgend­wie an die Grif­fe gehängt. Aber das ist alles nicht sehr trans­port­si­cher“, erklärt Lisa Moc­zig­em­ba, „wir woh­nen ja direkt am Wald­rand, bei Uneben­hei­ten fällt leicht was runter“.

Von Reha­kind zer­ti­fi­zier­ter Fachberater

Finn wird im Sozi­al­päd­ia­tri­schen Zen­trum im ober­pfäl­zi­schen Wei­den inter­dis­zi­pli­när betreut. Als er dort von sei­ner Ärz­tin ein Rezept für einen neu­en Roll­stuhl bekam, woll­te Lisa Moc­zig­em­ba ger­ne ein Modell, das ihnen bei­den das Leben wirk­lich erleich­tert. „Von Finns Phy­sio­the­ra­peu­tin habe ich den Tipp bekom­men, mich an die Fir­ma Mey­ra zu wen­den.“ Hier kam auch Ste­fan Grö­ger ins Spiel.

Der Ortho­pä­die­tech­nik-Meis­ter arbei­tet für die Fir­ma „Sani­täts­haus und Reha­tech­nik Schuh­mann und Lands­torfer“ in Bay­reuth. Und er ist seit über zwölf Jah­ren Exper­te für die Bedürf­nis­se von Kin­dern wie Finn. „Tat­säch­lich bin ich Reha­kind-Fach­be­ra­ter“, sagt Ste­fan Grö­ger. Der Ver­ein Reha­kind e. V. qua­li­fi­ziert Fach­kräf­te der Kin­der-Reha und Ortho­pä­die-Tech­nik und er zer­ti­fi­ziert Expert:innen mit Berufs­er­fah­rung und beson­de­rem Ver­sor­gungs­wis­sen für Kin­der und Jugend­li­che mit Behin­de­rung mit dem Titel. Nach einer Schu­lung und einem abschlie­ßen­den Test darf sich Ste­fan Grö­ger „Reha­kind-Fach­be­ra­ter“ nen­nen. Gemein­sam mit dem Außen­dienst­mit­ar­bei­ter von Mey­ra tra­fen sich die Betei­lig­ten vor Ort und bespra­chen, wel­che Ver­sor­gung für Finn und sei­ne Fami­lie die bes­te ist: ein „iChair Net­ti Dyna­mic S“ mit An- und Umbauten.

Dank die­sen hat nun jedes Hilfs­mit­tel für Finn sei­nen rutsch­fes­ten Platz, ob Beatmungs­ge­rät oder Son­den­nah­rung. „Das ist wesent­lich ange­neh­mer als zuvor“, freut sich Lisa Moc­zig­em­ba. „Du hast ein­fach alles am Stuhl und kannst ihn wie er ist ins Auto schie­ben, los­fah­ren und am Ziel los­le­gen. Du musst nicht mehr alles immer wie­der umräu­men, das ist schon toll. Dazu kommt die Steue­rung, die an einen Fahr­rad­len­ker erin­nert. „Das ist gut im unebe­nen Gelän­de“, sagt Ste­fan Grö­ger, „bei der Steue­rung via Joy­stick ver­wa­ckelt man leichter“.

Für den OT-Meis­ter beson­ders wich­tig ist aber eine gute Sitz­scha­len­ver­sor­gung. „Finn macht ja nicht viel, er liegt oder er sitzt. Und wenn er sei­ne Zeit so ver­bringt, dann muss er auch Kom­fort haben.“ Eine Sko­lio­se macht dem Elf­jäh­ri­gen beim Atmen zusätz­li­che Pro­ble­me, des­halb fer­tigt Ste­fan Grö­ger der­zeit für Finn eine neue ange­pass­te Sitz­scha­le nach Kör­per­form­ab­druck. „Die muss ein­fach gut pas­sen, damit das Kind sich wohl­fühlt.“ Finn kann sich nicht selbst­stän­dig bewe­gen. Bis­lang hat sei­ne Mut­ter ihn bei län­ge­ren Roll­stuhl­fahr­ten immer wie­der umge­la­gert. „Aber län­ger als drei Stun­den schafft er es nicht“, sagt sie. „Das ist scha­de, wenn es schön ist und du gera­de gemüt­lich im Bier­gar­ten sitzt, und dann musst du schon wie­der los, weil Finn nicht mehr län­ger sit­zen kann.“ Ste­fan Grö­gers Augen­merk liegt des­halb beson­ders auf der Ver­träg­lich­keit der Scha­le. „Wir wer­den beob­ach­ten, ob Finn noch eine Deku­bi­tus­pro­phy­la­xe braucht oder nicht. Gel­kis­sen oder Memo­ry­schaum wären jeder­zeit noch möglich.“

Neue Per­spek­ti­ven auf vie­len Ebenen

Dazu kommt, dass der Roll­stuhl stark höhen­ver­stell­bar ist. Für Lisa Moc­zig­em­ba ein deut­li­ches Plus: „Das ist wesent­lich rücken­scho­nen­der als zuvor.“ Und es sei für Finn ange­nehm, wenn er von einer erhöh­ten Posi­ti­on aus in die Welt schau­en kann. „Im Zoo zum Bei­spiel kann er mit dem Roll­stuhl über die Absper­rung sehen.“ Für Ste­fan Grö­ger ist auch der Nut­zen im All­tag nicht unbe­deu­tend: „Wenn Finn mit der Fami­lie am Tisch sitzt und alle begeg­nen sich auf Augen­hö­he, dann ist das etwas Gutes.“ Für Finn bedeu­tet die­ser freie Blick auf die Welt also neue Per­spek­ti­ven auf vie­len Ebenen.

Ein Clou, über den sich Lisa Moc­zig­em­ba beson­ders freut, ist der dyna­mi­sche Auf­bau des Roll­stuhls: Eine beweg­li­che Bein­stüt­ze, ein fle­xi­bler Rücken­zy­lin­der und eine dyna­mi­sche Sitz­plat­te machen jede unfrei­wil­li­ge Bewe­gung Finns mit. „Wenn bei Finn die Spas­tik zuschlägt, kann es gefähr­lich für ihn wer­den, wenn der Roll­stuhl die Bewe­gung blo­ckiert“, erklärt die Mut­ter. „Sein Mus­kel­to­nus ist bei einem Anfall so hoch, dass er sich schon drei­mal den Ober­schen­kel­kno­chen gebro­chen hat.“ Zusätz­lich zu den Schmer­zen des Jun­gen folg­te auch ein unan­ge­neh­mes Nach­spiel – immer­hin ist bei Finns Zustand ein Fremd­ver­schul­den bei einem Bein­bruch durch­aus denk­bar. Er rennt schließ­lich nicht allein durchs Haus und stürzt, son­dern wird rund um die Uhr von Pfleger:innen betreut. Nach­fra­gen der Kran­ken­kas­se und Stel­lung­nah­men der Betei­lig­ten waren die Fol­gen. Umso mehr freut sich Lisa Moc­zig­em­ba, dass der neue Roll­stuhl Finns Beson­der­hei­ten Rech­nung trägt: Er erlaubt dem Kör­per Spiel­raum beim Kramp­fen und führt ihn nach den Spas­men wie­der in sei­ne ursprüng­li­che Sitz­po­si­ti­on zurück. Davon abge­se­hen, dass Finn somit mehr Sicher­heit und Kom­fort genießt, ist das auch für den Roll­stuhl bes­ser: Mey­ra gibt an, die Tech­nik füh­re zu weni­ger Repo­si­tio­nie­rung und weni­ger Verschleiß.

Trotz all die­ser Grün­de war Finns Kran­ken­kas­se zunächst nicht über­zeugt und lehn­te die Ver­sor­gung ab. „Die haben einen manu­el­len Stuhl mit Schie­be­hil­fe ange­bo­ten, obwohl der preis­li­che Unter­schied bei gera­de ein­mal 2.000 Euro lag“, erin­nert sich Ste­fan Grö­ger, „also ging der Fall an den MDK“. Der OT-Meis­ter schrieb eine fach­li­che Begrün­dung, wäh­rend Lisa Moc­zig­em­ba ihre Sicht der Din­ge als Mut­ter ein­ge­reicht hat. Mit Erfolg, wie man nun sehen kann. „Tat­säch­lich war die Sitz­brei­te das aus­schlag­ge­ben­de Argu­ment“, sagt Ste­fan Grö­ger, „die manu­el­len Roll­stüh­le bie­ten nur 35 Zen­ti­me­ter, wir brau­chen aber wegen der Sitz­scha­len­ver­sor­gung 38 Zentimeter“.

Bis zum fer­ti­gen Roll­stuhl ist es ein lan­ger Weg. Abspra­chen müs­sen getrof­fen, gege­be­nen­falls Wider­spruch ein­ge­legt, Bau­tei­le bestellt und gefer­tigt und immer wie­der Anpro­ben ange­setzt wer­den. „Da las­sen wir uns auch Zeit“, betont Ste­fan Grö­ger, „das muss alles sehr gut pas­sen. Dann lie­ber lang­sam und ordent­lich als über­has­ten.“ Eine Ansicht, die Finns Mut­ter teilt. „Die War­te­zeit ist echt lang, doch ich kann das schon ver­ste­hen“, sagt Lisa Moc­zig­em­ba. „Aber es lohnt sich. Der neue Roll­stuhl gibt Finn und uns Frei­heit.“ Einen Plan für die Jung­fern­fahrt gibt es schon: „Wir machen als Ers­tes einen Aus­flug nach Regens­burg und fah­ren mit dem Schiff auf der Donau. Dar­auf freu­en wir uns schon lan­ge mal wieder.“

Tama­ra Pohl

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